peter henriciDie Pfarrei St. Mauritius in Regensdorf lud zum Informationsabend über das Neokatechumenat ein. Sie kam so dem Wunsch einiger Gemeindemitglieder nach, mehr über den Neokatechumenalen Weg zu erfahren. Dabei wurden immer wieder offensichtlich verstimmte Stimmen laut, die von einer Disharmonie in der Gemeinde zeugten. Mehrmals war gar von Gemeindespaltung die Rede. Man machte das Neokatechumenat dafür mit-, wenn nicht sogar ganz dafür verantwortlich. Dies wurde jedoch von Herr Alois Vieli und Herr Thomas Kleinhenz wieder aufgehoben, indem sie vor den Anwesenden mitteilten, dass es eigentlich ja gar nicht ums Neokatechumenat gehe und dass es zurzeit ein wenig der Sündenbock ist.

Giovanni Catania, Präsident der Kirchenpflege eröffnete den Informations- und Austauschabend. Als große Ehre erwies sich, dass Prof. Dr. phil. Peter Henrici, 92-jähriger römisch-katholischer Theologe, emeritierter Weihbischof von Chur und ehemaliger Generalvikar von Zürich-Glarus, extra für diesen Abend von Brig im Wallis hierhergekommen ist. Als Verantwortlicher für den Neokatechumenalen Weg in der deutschsprachigen Schweiz war Elia Spandri aus München, dessen Frau zu den kranken Kindern schaute und deshalb nicht anwesend sein konnte, und Don Paul Monn, Priester der Diözese Lugano, anwesend. Sie alle sind Vertreter des katholischen Glaubensweges des Neokatechumenats in der Deutschschweiz.

Erwartet hätte ich als erstes eine Einführung zum Thema. Doch der ehemalige Generalvikar von Zürich zog es vor, die brennenden Fragen der Teilnehmenden vom Infoabend zuerst entgegen zu nehmen. Diese beantwortete er exakt und mit viel Feingefühl und führte anschließend ins eigentliche Thema ein und erklärte was der Neokatechumenale Weg und sein Charisma ist. Auch erzählte er von seinen eigenen Erfahrungen und was es ganz persönlich für sein Leben als Priester, Weibischof und Generalvikar bedeutete, den Neokatechumenalen Weg zu gehen.

Der Abend startete also gleich mit einer Fragerunde. Bedroht das Neokatechumenat die Kirchenordnung? Wieviel Mitglieder gehören zur Pfarrei St. Mauritius und werden diese gar finanziell unterstützt? Was wird den Kindern gelehrt? Man spürte viel Unsicherheit und Angst. Das Mikrofon wurde rege herumgereicht, viele hatten Fragen, einige bekundeten vor allem ihre Skepsis und machten ihrer Unmut Luft. Eine Frau beschrieb ein persönliches Erlebnis sehr negativ: Sie besuchte eine Messe, an der sie hätte öffentlich beichten sollen. Die Vertreter des Neokatechumenats versicherten jedoch, dass dies bei ihnen so ganz sicher nicht praktiziert werde. Die Beichte abzunehmen, geschehe zwar im selben Raum wie die Feier, aber nur zwischen Priester und dem Beichtenden. Eine andere Frau beschrieb die Gemeinde als eine Blumenwiese voller bunter Blumen, die keinen Nährboden mehr habe.

Was aber ist denn das Neokatechumenat? Die Pfarrei kennt es bereits, ist es seit 1991 Teil von St. Mauritius. Aktuell wurde es in der hauseigenen Zeitschrift «Chilefaischter» vorgestellt (November 2018) und wird auch auf der Webseite der Pfarrei erläutert. Es gibt auch eine offizielle Schweizer Webseite des Neokatechumenats. 14 Erwachsene Personen gehören zum Neokatechumenat, die Pfarreimitglieder der Pfarrei St. Mauritius sind, die insgesamt zirka 10`000 Mitglieder zählt.

Was auf mich etwas befremdend wirkte ist, warum das Neokatechumenat, welches seit 1991 zur Pfarrei St. Mauritius gehört, gerade jetzt seit Dezember 2019 ein Problem darstellen sollte?!

Gegründet wurde das Neokatechumenat 1964 in der Zeit des zweiten Vatikanischen Konzils. Der Kunstmaler Kiko Argüello gab seine Karriere auf, um mit den Ärmsten in einem Barackenviertel in Madrid zu leben. Er gründete Gemeinschaften und brachte den Armen das Wort Gottes nahe. Es ist ein missionarisch ausgerichteter Weg, den Glauben zu verkünden. Er verbreitete sich erst in Spanien und dann in die ganze Welt. «Das Neokatechumenat versteht sich nicht als Bewegung, sondern als Weg, christliche Initiation und als geistiges Gut der Katholischen Kirche» erklärte Herr Spandri. Im Neokatechumenat gibt es immer wieder zahlreiche Familien mit vielen Kindern, aber auch Priester.
Der Weg des Neokatechumenats kann als Instrument für die Neuevangelisierung bezeichnet werden. Es gibt verschiedene missionarische Initiativen, durch die glaubensferne Menschen erreicht werden sollen, aber auch solche, die die Kirche verlassen haben, sollen zum Glauben wieder eingeladen werden. Es gibt eine einmalige achtwöchige Glaubensverkündigung, geführt von Katecheten, die Laien sind. Der Priester ist anwesend, jedoch nicht hierarchisch höher gestellt. Am Ende dieses Glaubensweges kann das Taufsakrament erneuert werden. Einmal wöchentlich wird eine Wortliturgie mit Thema gefeiert. Die Eucharistiefeier findet Samstagabends statt. Die Statuten wurden im Jahr 2008 von Papst Benedikt XVI. approbiert. Heutzutage gibt es das Neokatechumenat in 124 Nationen mit über 1 Million Katechumenen.

Prof. Dr. phil. Peter Henrici schilderte seinen Zugang zum Neokatechumenalen Weg, mit dem er 1977 in Rom zum ersten Mal in Berührung kam. Er erzählte, dass eine Studentin ihn in eine Gemeinschaft eingeführt hatte: «In einem verfallenen Haus wurde eine äußerst fröhliche Messe gefeiert.» Die Gemeinschaft entsprach ihm so, dass er ihr fast zwanzig Jahre treu blieb. Ihn faszinierte besonders den direkten Zugang zur Bibel. «Entscheidend ist das Wort Gottes. Ich bin zwar ausgebildeter Theologe, aber mir ging es darum, wie ich das Wort Gottes in mein persönliches Leben bringen kann. Ich wollte mich unter Gott stellen, sein Wort aufnehmen, verstehen, was es mir für mein Leben sagt. Das war mir sehr wichtig. Die Reformatoren nannten sich «Diener des Wortes Gottes». Diesen Titel möchte ich auch gerne» meint er lächelnd. Die Leidenschaft des Greisen ist noch immer spürbar.
Herr Spandri teilt diesen leidenschaftlichen Glauben und betont den missionarischen und diakonischen Auftrag aller Gläubigen. Wichtig ist ihm, dass alle gleichwertig sind. «Der Priester macht einen Dienst am Menschen, er sitzt nicht auf einem hohen Ross. Auch ein Obdachloser kann mir etwas sagen, und ich lerne dabei. Das Wort Gottes spricht zu jedem, auch zu einfachen Menschen. Und ich respektiere die Würde des Obdachlosen. Ich hole ihn ab und bin besorgt um ihn, aber ich sage ihm nicht, dass er nicht mehr auf der Straße wohnen soll. Ich möchte seine Freiheit bewahren».

Peter Henrici war es, der das Neokatechumenat ab 1993 in der deutschsprachigen Schweiz betreute. Um die 30 Erwachsenen Mitglieder besuchen die neokatechumenalen Gemeinschaften der Pfarrei St. Mauritius und benutzen am Samstagabend zwei Räume von sieben im Pfarreizentrum.
Eigentlich sind das nicht viele. Offensichtlich verbreitet sich das Neokatechumenat gar nicht so schnell, besonders in der Deutschschweiz nicht. Zudem gibt es in der Schweiz zwei diözesane missionarische Priesterseminare «Redemptoris Mater». Kein Grund zur Aufregung also, könnte man meinen. Es besteht nicht «die Gefahr», dass das Neokatechumenat die ganze Pfarrei übernimmt, und die Aktivitäten gingen eigentlich gut aneinander vorbei in den letzten dreißig Jahren. Zum Vorwurf, dass es der Sündenbock für die Spaltung der Kirche sei, hat Peter Henrici ohnehin nur ein müdes Lächeln übrig: «Ich betrachte die Neokatechumenen als unfähige Gruppe, wie sollen die spaltend wirken?». Eine solche Aussage mutet etwas komisch an, doch wahrscheinlich spricht Henrici darauf an, dass es den Neokatechumenen nicht um starre Dogmen geht, sondern um eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus, zu der jeder Zugang haben kann.

Elia Spandri betonte mehrmals, dass er von Theologie keine Ahnung habe. Denn nach zwei Stunden sind immer noch Fragen im Raum, besonders auch welche, die nur Pfarrer Remo Eggenberger beantworten könnte. Da der Pfarrer auf Grund einer Auszeit nicht anwesend war, beantwortete Spandri diese Fragen nicht. Er betonte, dass er nicht hinter dem Rücken des Pfarrers sprechen wolle. Auf weitere Angriffe antwortete Spandri: «Wenn es für euch keine Bereicherung ist, dass wir hier sind, dann gehen wir aus dieser Pfarrei hinaus. Wir gehen, es ist kein Problem» meinte er. Er selbst glaubt, dass die mangelnde Kommunikation zwischen den Einzelnen und das „Schwatzen“ hinter dem Rücken von anderen einen entscheidenden Beitrag für die Spaltung der Pfarrei gibt und setzt zu einer kurzen aber feurigen Rede an. «Wir sind doch als Diener da, die gute Botschaft zu den Menschen zu bringen. Wir sollen Salz, Licht und Sauerteig sein in dieser Welt, den Menschen Hoffnung bringen, zum Heiligen Geist beten. Es ist egal, wo ihr jetzt steht. Wollt ihr neu anfangen oder nicht?» forderte er die Anwesenden heraus.

In der Tat scheint es wichtig, herauszufinden, was denn genau die Gründe für den Konflikt sind. Man entscheidet sich, gemeinsam an den runden Tisch zu sitzen und sich auszusprechen, um anschließend Lösungen zu suchen. Viele sind frohen Mutes. Der Abend endet hoffnungsvoll für die ganze Gemeinde. Vielleicht können die Blumen doch wieder aufblühen. Zum Abschluss wurde «das Vaterunser» gebetet. Einige blieben noch für persönliche Gespräche untereinander. Der Aufruf zur Liebe und Versöhnung scheint Frucht gebracht zu haben. Gottseidank sind die Mitglieder der Gemeinde fürs Gespräch offen. Der Heilige Geist hat offensichtlich gewirkt.
Elia Spandri wirkt etwas erschöpft: «Ich brauche eine Zigarette, leider bin ich das Rauchen immer noch nicht losgeworden» sagte er. Ganz so fromm, wie er an dem Abend von jemandem betitelt wurde, ist er also doch nicht. Nur ein ganz normaler geheiligter Sünder, wie wir alle.

Tina Schmidt

Mehr Informationen:
www.st-mauritius.ch/spiritualitaet/neukatechumenat
www.neocatechumenaleiter.org - Offizielle internationale Webseite
www.neokatechumenat.ch - Offizielle Schweizer Webseite