Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. (Mt 10,27)

 

 

 

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder

Heute an diesem zweiten Fastensonntag, möchte ich zu Beginn, den Worten des hl. Paulus an die Christgemeinde in Rom Nachdruck verleihen: «Ist Gott für uns, wer ist gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?»

Wenn wir uns fragen, wer Paulus mit «uns» meint, sollten wir zur Überzeugung gelangen, dass hier die ganze Menschheitsfamilie, alle Menschen aller Zeiten gemeint sind. Gott ist nicht der Gott einer Elite, einer verschlossenen, egoistischen Gruppe von Menschen. Jesus Christus ist in die Welt gekommen – zu uns – damit alle gerettet werden.

Unsere Welt hat Zukunft – auch heute. Die Welt, hier und heute, ist die Welt, die Gott liebt. Er ist mitten unter uns: er ist der Immanuel, der Gott mit uns – bis zum Ende der Zeiten.

Jesus wollte nicht auf dem Berg der Verklärung mit Petrus, Jakobus und Johannes verweilen. Sie hätten sonst meinen können, dass Gott eine verklärte Welt, eine reine, perfekte Welt bevorzugt; eine Welt, eine Menschheit, die keiner Erlösung bedarf. Der Herr wollte unbedingt hinabsteigen, damit alle erfahren, dass die wirkliche Verklärung Gottes durch sein Eins-Werden mit dem Menschen, mit der Welt und mit all dem, was erlösungsbedürftig ist, einher geht.

Durch Jesus Christus sagt Gott jedem Menschen: «Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn». Gott lädt uns ein, auf jeden Menschen zu hören, in jedem Menschen Kostbares zu entdecken, in jedem Menschen das Kind Gottes zu betrachten und zu lieben.

Die nötige Umkehr während der Fastenzeit sollte auch darin bestehen, von der Höhe der Theorien in die Tiefe der Realität hinabzusteigen, in der Überzeugung, dass nur im Niedrigen und Kleinen die Grösse und Allmacht Gottes erfahrbar wird. Gerade dort wartet Gott auf uns!

Verbunden im Gebet mit den besten Segenswünschen grüsse ich Sie herzlich

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

Hinweis auf die liturgischen Texte:
Lesungen vom 2. Fastensonntag, Lesejahr B 1.
Lesung: Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18
2. Lesung: Röm 8,31b-34
Evangelium: Mk 9,2-10